»Cavalleria rusticana«: Teil des Bühnenbilds von Paul Zoller © Oper Graz/Werner Kmetitsch

»Cavalleria rusticana«: Teil des Bühnenbilds von Paul Zoller

© Oper Graz/Werner Kmetitsch

Pietro Mascagni:
»Cavalleria rusticana«

Oper Graz

Von Thomas Prochazka

Die Oper Graz lockt mit mit einer Umsetzung, in welcher der Spielvogt Autorenschaft beansprucht: Lorenzo Fioroni läßt Cavalleria rusticana in einem dunklen, häßlichen Einheitsbühnenbild spielen. Und: Er beschäftigt einen Clown. Clown Geronimo. (Als Bindeglied zu den Pagliacci.) Fioroni läßt Clown Geronimo vor und während des Preludio über die bereits offene Bühne stolpern, an Blumen riechen...
Diese Produktion: »Regietheater« vom feinsten...

II.
Ein schwarzer, glänzender Bühnenboden mit mehreren Stufen, gleich einem Orchesterpodium. Rundum ein dunkler Holzlattenzaun, geschätzt zwei Drittel des Bühnenportals hoch. Darüber schwebt Gottvater, mit ausgebreiteten Händen über einem Orchester. (In Anlehnung an die Fresken Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle.) Dem Bühnenhintergrund zu abgehängt, sodaß man’s von den günstigeren Plätzen auf der Galerie kaum richtig sehen kann. (So etwas zeichnet den Könner unter den Regiekünstlern aus.)

Auf der Bühne verstreut stehen Blumen in hohen Vasen und breite Bänke. Die werden später individuell zusammengestellt werden, der Bühne ein Spielzentrum geben. Auf der obersten Stufe ein Pianino sowie Celli, vorbereitet für die Banda. (Im Laufe der Begebenheiten wird das alles klar werden.) Lichterketten mit Glühlampen hängen auf Stehern. Sie werden im weiteren Verlauf des Abends teilweise abgenommen werden. Ebenfalls am Bühnenboden verstreut blutige Lappen (schwer zu erkennen aus der Entfernung), deren Zweck sich bis zum finalen Akkord nicht erschließen wird. 

III.
Der Chor (weitgehend präzise) nimmt Aufstellung, und los geht’s: Während man von Lenz und Orangen und reifen Ähren und mühevoller Feldarbeit singt, verordnet Fioroni den Damen und Herren rhythmische Bewegungen, als befänden wir uns am Broadway. Man wagt auch Tänzchen miteinander, wenn nicht ein Teil der Herren gerade damit beschäftigt ist, gegen den anderen die Messer zu zücken. Weshalb? — Ich weiß es nicht. 

IV.
Cheryl Studer war aufgeboten als Mama Lucia. Ein Tablett mit Flaschen tragend, schlurft sie auf die Szene. Verteilt die Flaschen auf den breiten Bänken. (Man bedenke: Es ist Ostermorgen, und alle streben zur Messe in die Kirche.) Wozu also?

Studer als Mama Lucia zu  besetzen: keine gute Idee. Das wird schon bei ihrer ersten Erwiderung auf Santuzzas das Gespräch eröffnende Phrase klar: Die Stimme trägt nicht (mehr), bricht immer wieder, klingt kraftlos. Die Notwendigkeit dieser Besetzung: Sie erschließt sich nicht.

»Cavalleria rusticana«: Ezgi Kutlu (Santuzza) und Aldo di Toro (Turiddu). Ob Mascagni solches im Sinn hatte? © Oper Graz/Werner Kmetitsch

»Cavalleria rusticana«: Ezgi Kutlu (Santuzza) und Aldo di Toro (Turiddu). Ob Mascagni solches im Sinn hatte?

© Oper Graz/Werner Kmetitsch

V.
Daß Ezgi Kutlu der Partie der Santuzza nicht gewachsen ist, hilft da nur bedingt. Der Stimme der in der Türkei geborenen Mezzosopranistin fehlt der Kern, unterhalb des passaggio verliert sie das Volumen. Die Stimme fließt nicht, die Spitzentöne klingen schrill und angestrengt. Dazu gesellten sich einige Intonationstrübungen. Das Spiel: uneiheitlich. Widersinnig. Eine Ent­täuschung.

VI.
Zugegeben: Der Spielvogt macht es seinen Sängern nicht leicht: Warum Santuzza im großen Duett mit Mama Lucia vor den versammelten Frauen des Dorfes die Geschichte mit Turridu und Lola pantomimisch unterlegen muß…? Warum Clown Geronimo via einem mittig an der Rampe postierten Mikrophon das Publikum in der Oper darüber in Kenntnis setzt, daß Lola und Alfio vor einem Jahr heirateten? Warum Lola in dieser Szene im Brautschleier auftritt? Warum zum sich daran anschließenden »Regina coeli« alle vor einem dem Publikum abgewandten TV-Apparat Platz nehmen, Santuzza sich den Schleier Lolas überstülpte? — Fragen über Fragen. Und auf die Fragen find’ ich die Antwort nicht…

VII.
Audun Iversen müht und bemüht sich stimmlich wie darstellerisch, der Partie des Alfio Profil zu verleihen, allein… Da klingt vieles selbst für einen Fuhrmann zu grob, stimmlich zu un­aus­gewogen.

Warum Alfio zehn Meter entfernt von Lola auf der Bühne steht, während sie, nach dem Inter­mezzo die Bühne betretend, zu singen hat, daß sie nach Hause gehe, um ihn dort zu erwarten? Warum Alfio, als er Turridu konfrontiert, Lola den Rock vom Leib reißt und die Strumpfhose bis zu den Knien herunterzieht? (Mareike Jankowski als Lola schlägt sich wacker. Überzeugend klingt aber auch sie nicht an diesem Abend.) 

»Cavalleria rusticana«: Audun Iversen als Alfio, am Pianino im Hintergrund Jörn Heypke als Clown Geronimo © Oper Graz/Werner Kmetitsch

»Cavalleria rusticana«: Audun Iversen als Alfio, am Pianino im Hintergrund Jörn Heypke als Clown Geronimo

© Oper Graz/Werner Kmetitsch

VIII.
Wo laut Partitur Santuzza und Turridu streiten, verordnet der Spielvogt seinen Sängern Tät­lichkeiten. Daß dabei der Gesang nicht zu seinem Recht kommen kann, stört ihn nicht. Santuzza verabreicht Turridu Ohrfeigen. Dieser revanchiert sich, stößt sie von sich. Schließlich finden sich beide am Bühnenboden wieder…

Daß es Aldo Di Toro Mühe bereitet, gleichzeitig seinen in der Mittellage durchaus kräftigen, aber grob eingesetzten und in der Höhe instabilen Tenor dem Werk adäquat erklingen zu lassen, verwundert nicht. »Viva il vino spumeggiante« vergibt Di Toro hoffnungslos. Da fehlt es an innerer Spannung. Selbst der Versuch, auf Linie zu singen, mißlingt.

IX.
Die Individualität ist aufgehoben. Alle Figuren agieren öffentlich. Es herrscht das Kollektiv; — so Fioroni im Programmheft. Also hebt er es auf, läßt eine Banda im Bühnenhintergrund das Inter­mezzo spielen und währenddessen einzelne Chormitglieder in verschiedenen Sprachen dem Publikum ihre Ansichten mitzuteilen. (Das Mikrophon steht immer noch in der Mitte des Bühnenportals.) Man erfährt, daß jemand nicht zur Hochzeit seiner Schwester fahren will, weil Hochzeiten kitschig sind. Und andere Dinge, welche man nicht zu wissen sich bisher glücklich schätzte.

Worüber nachzudenken wäre:

  • daß das Kollektiv in der Cavalleria rusticana — eigentlich — auf der Einhaltung gewisser Normen besteht, welche sich eine Gesellschaft selbst gegeben hat; 
  • daß trefflich darüber nachzusinnen wäre, ob diese Vorgehensweise nicht einen reinigenden Charakter für eine Gesellschaft besitzt;
  • daß der Zusammenhalt in unseren Gesellschaften stärker wäre, setzten wir uns gemeinsam gegen die egoistischen und egozentrischen Auswüchse Einzelner stärker zur Wehr. Tolerierten solches Tun nicht länger.

All dies schien den Spielvogt jedoch nicht zu interessieren…

X.
Oksana Lyniv beließ es allerdings nicht bei der Banda-Version des Intermezzo. Opferte es nicht am Altar des Regietheaters. Sondern ließ das Grazer Philharmonische Orchester danach zeigen, was es kann: viel.
Abgesehen davon allerdings: keine Lockungen.

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