Giuseppe Verdi:
»Simon Boccanegra«
Wiener Staatsoper
Von Thomas Prochazka
II.
Dieser Abend: einer der alten Stimmen. Und der alt klingenden. Diese Vorstellung: Abbild unserer Opernlandschaft. Oberflächlich betrachtet, konnte man’s zufrieden sein. Man wohnte einer sich über das Niveau der vielen »Nicht-Vorstellungen« in unseren Opernhäusern erhebenden Aufführung bei. Das ist schon etwas.
Am Pult sorgte Philippe Auguin bis zum Finale des ersten Aktes mit der Unterstützung des Staatsopernorchesters für eine animierte Wiedergabe. Der zweite Akt gebrach allerdings der notwendigen Intensität, der inneren Spannung. Erst mit Fortdauer des dritten Aktes erholte sich die Vorstellung wieder. (Es hängt eben vieles vom Sänger der Titelpartie ab.)
III.
Eleonora Buratto stellte sich in der Partie der Amelia dem Wiener Publikum vor. Ihre vita verweist auf eine enge, jahrelange Zusammenarbeit mit Riccardo Muti. Ihre gestrige Leistung lehrt uns, daß große Maestri nicht unbedingt auch große Stimmenkenner sein müssen: Die in Mantua geborene und ausgebildete Sopranistin ließ eine in den Höhen manchmal schon überstrapaziert klingende Stimme hören. Bereits in »Come in quest’ora bruna« geriet der Aufstieg bei »amante amplesso pare« auf das ›g‹ zur Zitterpartie, änderte sich die Stimmfarbe in der Phrase. (Gleiches sollte sich in der zweiten Strophe wiederholen.) Stellen, an welchen das Brustregister zu aktivieren gewesen wäre, klangen »nachgedrückt«, die Mittellage mitunter eng und flach: all dies Indikatoren gesangstechnischer Mängel. (Mängel allerdings, welche Buratto mit den meisten Kolleginnen ihrer Generation teilt. Längst haben wir uns an diese gewöhnt, erachten sie nicht mehr als sonderlich störend. Und sollten dennoch darob verstört sein.)
IV.
In ähnlicher Verfassung präsentierte sich Francesco Meli, der Gabriele Adorno des Abends. Auch seine Stimme klang oftmals eng und gepreßt. Vor allem bei den Übergängen zu den Spitzentönen arbeitete Meli mit Lautstärke und fortgesetztem Krafteinsatz. Wo die Spitzentöne im piano zu gewinnen wären, wechselte er zur Kopfstimme. Auch dies Ausdruck gesangstechnischer Unzulänglichkeiten. (Und daran ändert auch die Tatsache nichts, daß Melis Leistung vom Publikum akklamiert wurde, er als einer besten Vertreter seines Faches im heutigen Opernbetrieb gilt. … Man höre genau hin.)
V.
Der Fiesco des Abends, Kwangchul Youn, ließ vor der Pause eine unruhige, flackernde Stimme hören. Seine große Szene, »A te l’estremo addio«, litt unter fortgesetztem Tremolo und klang ebenso beiläufig wie das die Arie beschließende tiefe ›fis‹, welches sich als ›g‹ verkleidete. Zwar besserte sich Youn mit Fortdauer des Abends, doch selbst im abschließenden »Piango, perchè mi parla in te del ciel la voce« vermochte er mich nicht zu fesseln. (Doch was soll ich mit dieser Kunstform, wenn sie mich nicht berührt?)
VI.
Dan Paul Dumitrescu war als Pietro ein verläßlicher Stichwortgeber. Marco Caria, welcher zum wiederholten Male den Paolo sang, war hörbar der Ansicht, daß Bösewichte auch grobschlächtig zu singen wären. (Dies ist ein Irrtum; wenngleich ein anerzogener.) Der Partie des Paolo wäre — vor allem in der gesanglichen Gestaltung — mehr abzugewinnen. Viel mehr.
VII.
Der Simon Boccanegra ist wahrscheinlich Plácido Domingos beste Bariton-Partie. Alle Diskussionen über das »ob« und »Warum?« sind müßig; die Kassenrapporte eindeutig, der finanzielle Erfolg solcher Abende das Maß der Dinge. Daß der gewesene Tenor Domingo beim hohen ›f‹ des »Morte al Doge?« kein Problem hat, während dieser im passaggio liegende Ton für die meisten genuinen Baritone bereits eine Herausforderung darstellt, stimmtechnisch ganz anders vorbereitet werden will: — es stört nur jene, welche vor allem der Stimmen wegen kommen.
Domingo agiert vorsichtig an diesem Abend, schauspielerisch wie stimmlich. (Auch wäre Mario Perktold, der maestro suggeritore, auf die Bühne zu bitten gewesen. Ohne ihn hätte dieser Abend ein frühes Ende gefunden.) Selten erhebt dieser Simone seine Stimme über ein mezzoforte. Vertraut auf die Suggestionskraft seiner Erscheinung, wenn das legato nachläßt, einzelne Phrasen brechen. Beeindruckt vor allem seine zahlreich erschienenen Anhänger. Denn hin und wieder weht eine sanfte Brise herüber aus längst hinabgesunkenen Zeiten. Und man ahnt in Wehmut und, ja, Dankbarkeit, was einmal war…